anzeige
anzeige
Politik

Überwachung ohne Folgen

Nach dem Abhörskandal um die BSG Chemie gibt es weder Aufarbeitung noch Entschuldigung

  Überwachung ohne Folgen | Nach dem Abhörskandal um die BSG Chemie gibt es weder Aufarbeitung noch Entschuldigung

Seit Monaten ist die jahrelange erfolglose Überwachung des heutigen Fußballregionalligisten BSG Chemie Leipzig zum Paragraphen 129 – Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung – bekannt, die auch den Mitarbeiter des Fanprojekts einschloss. Zeit genug, um mit einer transparenten Aufarbeitung bei den betreffenden Untersuchungsstellen zu beginnen oder zumindest Worte der Entschuldigung zu finden. Weit gefehlt: selbst ein offener Brief Mitte Dezember gegen die Kriminalisierung von Sozialarbeit führte bisher zu keinem Gesinnungswandel.

»Ich kenne den Brief nicht, können Sie ihn mir bitte weiterleiten«, bat der Pressesprecher der Sächsischen Generalstaatsanwaltschaft Wolfgang Klein nach einem Telefonat des kreuzer Mitte Januar.

Der Brief

Mitte Dezember veröffentlichte die Koordinationsstelle Fanprojekte einen offenen Brief, der sich gegen die Kriminalisierung der Sozialarbeit richtet. Die Unterzeichner – u.a. fast 30 Professoren und Dozenten für Sozialarbeit von Universitäten und Hochschulen sowie Fanprojekte von Aachen bis Zwickau – beschreiben die Ermittlungen gegen die BSG Chemie Leipzig und im Speziellen gegen den Mitarbeiter des Fanprojekts als eine »Zäsur in der Sozialen Arbeit« und sie kritisieren die steigende Zahl der »polizeilichen und staatsanwaltlichen Zeugenvorladungen« von Fanprojektmitarbeitern. Damit wird deren Arbeitsweise per se in Frage gestellt und das Vertrauensverhältnis zwischen Fanprojekten und Polizei beschädigt.

Den sächsischen Behörden attestieren sie »praktizierte Grenzverletzungen, das Negieren des Offensichtlichen, den Unwillen darüber zu sprechen«.

Die Unterzeichner fordern die Akzeptanz und den besonderen Schutz des Vertrauensverhältnisses von Sozialarbeitern und jugendlichen Fans durch Sicherheitsbehörden und Polizei. Dazu zählt auch die seit April noch nicht stattgefundene »transparente und kritische Auseinandersetzung des gesamten institutionellen Netzwerkes« zum Zwecke der Anerkennung und des Schutzes der Arbeit von Fanprojekten.

Die Reaktionen

Nachdem der Brief nach Dresden zur Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet wurde, traf einen Tag später die Antwort ein. Pressesprecher Wolfgang Klein erklärt darin, dass sich die Ermittlungen nicht gegen die soziale Arbeit mit Fußballfans richteten. Er legt Wert darauf, dass das Fanprojekt »selbst nicht Gegenstand der Ermittlungen« war, sondern der Mitarbeiter als Person. So ließ es sich laut Klein nicht vermeiden, »dass das Fanprojekt mittelbar betroffen wurde.«

Auch wenn er die Arbeit der Fanprojekte als »wichtig« befindet, dürfen »keine rechtsfreien Räume entstehen.« Dies ließe sich seiner Meinung nach auch »den Opfern von Straftaten schwerlich erklären.«

So endet die Mitteilung aus Dresden. Sie geht nicht darauf ein, dass die Ermittlungen ergebnislos im Sinne des Paragraphen 129 verliefen und auch keine Straftaten nachgewiesen werden konnten. Ebensowenig taucht eine Silbe der Entschuldigung auf, um das zerrüttete Verhältnis zu kitten. Die Forderungen nach einer transparenten Aufarbeitung, die klar im offenen Brief formuliert sind, wurden einfach ignoriert.

Nachgefragt bei der Polizei Leipzig erklärt der Sprecher Uwe Voigt, dass der Brief zur Kenntnis genommen wurde. Da die Leipziger Polizei laut Voigt nicht in die Ermittlungen involviert war, kann er zu den Forderungen keine Antwort geben.

Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, erhielt bisher keine Reaktionen auf den Brief. Er hält allerdings fest, dass sich »die Sorgen gegenüber den Arbeitsbedingungen der Fanprojekte« nicht verkleinerten.

Wie findet der Deutsche Fußball-Bund eigentlich diese Form der Überwachung von sozialer Arbeit mit jugendlichen Fans? Der Präsident Reinhard Grindel besitzt – wie auf kreuzer-Anfrage zu erfahren war – einen »prall gefüllten Terminkalender«, um Interviewanfragen nicht entgegen nehmen zu können. Auf die direkte Frage zum offenen Brief gab es bisher noch keine Antwort. Interessant wäre sie allemal.


Kommentieren


0 Kommentar(e)