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»Ich wollte nie nach Leipzig«

Die preisgekrönte Comic-Autorin Josephine Mark im Interview des Monats

  »Ich wollte nie nach Leipzig« | Die preisgekrönte Comic-Autorin Josephine Mark im Interview des Monats

Eigentlich müssten die Eichhörnchen zuhauf kommen, bedenkt man Josephine Marks Händchen für Tiere. Überpünktlich wartet die Comic-Autorin, die vor allem durch komische Viecher bekannt ist, auf die Journalisten vom kreuzer. Wir sind im Clara-Park verabredet, lassen uns auf einer Wiese im Schatten nieder. Während irgendwann der Soundcheck von der Parkbühne herüberweht, sprechen wir über Blaue-Bohnen-Fresser, Trips mit Tröpfen und das Loslassen.

kreuzer: Herzlichen Glückwunsch zum Max-und-Moritz- und zum ICOM-Preis, dem Independent-Comic-Preis des Interessenverbands Comic, die Sie kürzlich in Erlangen erhielten. Wie fühlte es sich an, mal wieder auf dem Comic-Salon zu sein – und dann gleich für zwei Bücher prämiert zu werden?

Josephine Mark: Der Salon ist alle zwei Jahre das Highlight für mich. Das ist der Ort, wo für mich persönlich ganz viel Comic passiert. Das war dieses Jahr der absolute Overkill. So viele Leute haben meine Bücher gefeiert, es fühlt sich an, wie angekommen zu sein. Für mich als Künstlerin, die aufgrund des Mediums alleine arbeitet, war es das totale Gegenteil zur normalen Arbeit. Erst die Preisverleihungen, dann die Lesung mit Ralf König: Größer geht es nicht. Ich habe meinen Verleger gefragt, was jetzt noch kommen soll. Habe ich jetzt die schönsten Sachen mit meinen zwei ersten Veröffentlichungen schon abgegrast?

Was sagte er?

Er meinte, da kommt noch ganz viel, würde nur anders schön werden. Das löste den Druck etwas.

Sie haben sich in Erlangen Corona eingefangen?

Ja. Es haben trotz der Hitze viele Menschen Maske getragen, ich auch. Trotzdem brachte ich das Virus nach Hause mit. Das war ein Dämpfer, aber das lässt sich nicht ganz vermeiden. Die Szene hat das Zusammenkommen, das Sozialisieren sehr gebraucht. Mir haben die zwei Jahre Isolation nicht so gut getan. Es ist wichtig, dass man sich wieder mit Input füllen kann, man braucht ja etwas, worüber man schreiben kann.

Ihre beiden Bücher erschienen kurz nacheinander. Wie haben Sie das geschafft?

 

Das ist tatsächlich Corona geschuldet, da ist viel auf Halde liegengeblieben. »Murr« war 2019 fertig. Ich war dann glücklich, dass Zwerchfell (Comic-Verlag aus Stuttgart, Anm. d. Red.) ihn veröffentlichen wollte. Mit »Trip mit Tropf« hat meine Agentur auch schon viele Verlage abgeklappert. Dass Kibitz (Kinder-Comic-Verlag aus Hamburg, Anm. d. Red.) zusagte, ohne dass fertige Buch zu kennen, war der Jackpot für mich. Die hatten nur die ersten zwei Kapitel bekommen.

»Trip mit Tropf« ist der Roadtrip eines krebskranken Kaninchens. Hatten Sie zuerst den großartigen Titel im Kopf oder die Geschichte?

Die Geschichte war zuerst da. Der Arbeitstitel lautete »Roadtrip mit Tropf«, ich arbeite gern mit starken Genres. Mit den Verlegern überlegte ich dann den fertigen Titel und bin total glücklich, weil Trip ja so mehrdeutig ist. Und erst ein Leser brachte mich darauf, dass auch Tropf doppeldeutig ist, er dachte, das Kaninchen wäre ein armer Tropf, statt an das medizinische Gerät zu denken.

War es als Aufklärungsbuch für Jugendliche konzipiert?

Das junge Publikum hatte ich gar nicht im Kopf. Das wirkt so, weil der Verlag auf dieses spezialisiert ist. Aber das Buch ist ein All-Ager und funktioniert auch als solcher total gut, wie die Leserreaktionen zeigen. Einer liest es mit seiner 7-jährigen Tochter zusammen, auch ein 51-Jähriger schrieb mir, dass er es gut fand. Ich hätte mich beim Schreiben nicht beschränken wollen, indem ich an ein Zielpublikum denke. Dann hätte ich mich bestimmt selbst zensiert.

Auch bei der Cowboy-Geschichte »Murr« geht es düster zu, dreht sich die Story um Tod, Verlust und Loslassen. Warum mögen Sie schwere Themen?

Mir liegen existenzialistische Themen. Ich mag Bücher und Filme, die Gehalt und eine gewisse Tiefe haben. Und das verbinde ich dann gern mit Humor. Ich bin vom Gemüt her so aufgestellt, dass ich die Hälfte des Tages nachdenklich-traurig durch die Gegend laufe, aber trotzdem über Dinge und mich selbst lachen kann. Situationskomik packe ich dann in meine Arbeit. Wenn ich mir schon die Mühe mache, zwei Jahre an einem Comic zu schreiben, möchte ich nicht nur die Oberfläche bedienen, sondern transportieren, was mich beschäftigt. Bei »Murr« geht es ums Loslassen und damit tue ich mich sehr schwer. Aber das ganze Leben besteht aus Loslassen. Und vielleicht erreiche ich jemanden damit, der noch nicht darüber nachgedacht hat.

In mehreren Interviews wurden Sie gefragt, wie viel persönliche Krankheitserfahrung in »Trip mit Tropf« steckt. Empfinden Sie solche Psychologisierung und Biografisierung übergriffig? Bei »Murr« fragte niemand, ob Sie mal Cowboy waren?

Das ist eine interessante Frage. Denn seit der Veröffentlichung beschäftigt mich, wie ich mich dazu, also zu solchen Fragen, verhalten soll. Natürlich ist das ein persönliches Buch, es ist meine Form, mit etwas umzugehen. Die Medien wollen, glaube ich, so Heldengeschichten, wie jemand, der sich aus einem schlimmen Erlebnis heraus kämpft und wieder gesund ist. Aber so funktioniert das nicht. Niemand geht nach drei Jahren so aus einer Nummer raus und alles ist wieder schön. Das Buch hat mir in einer schlimmen Zeit geholfen und ist jetzt fertig. Es ist in der Welt, macht sein eigenes Ding und kann anderen Leuten etwas bedeuten. Da muss ich nicht in jedem Interview nach Details gefragt werden, was wieder Dinge aufwühlt. Ich habe gerade eine Form gewählt, die nicht mich ins Zentrum stellt.

Gerade Comic-Debüts aus dem Kunsthochschul-Umfeld sind oft sehr autobiografisch und intim.

Ich weiß nicht, ob den Leuten das bewusst ist, bevor sie es veröffentlichen. Sie werden damit immer wieder konfrontiert, was potenziell etwas Traumatisierendes haben kann. Vielleicht ist das in so einem Alter auch nachvollziehbar, dass man sich unter die eigene Lupe legt. Ich will die Kollegen, die das machen, nicht bashen. Aber ich lese es nicht so gern. Zumal diese Comics in einer akademischen Blase entstehen, die nah an meiner Biografie ist. Das kenne ich schon. Wenn mal ein Metallbauer einen Comic schreiben würde, lese ich den sofort, weil das so weit weg ist von mir selbst.

Wie kamen Sie zum Studium?

Ich wollte in den Bereich Restauration, Naumburg ist eine historische Stadt und das historische Interesse steckt in mir drin.

Die Uta-Statue im Dom hat Sie geprägt?

Wahrscheinlich. Ich schaue mir einfach gern alte Kirchen und so an. Aber um Restauratorin zu werden, braucht man ein Kunststudium und eine Ausbildung. Das sind sechs unsichere Jahre und danach ist auch unsicher, wie es weitergeht. Jedenfalls wollte ich wenigstens Kunst studieren. Das hat beim ersten Anlauf an der Leipziger HGB nicht geklappt; zum Glück. Dann habe ich ein Jahr an der HTWK Medientechnik studiert und gemerkt, dass das gar nichts für mich ist. Schließlich machte mich jemand auf das Mixstudium in Merseburg aufmerksam, das Kunst mit Technik verbindet. Das war perfekt für mich. Und darüber habe ich dann das Praktikum in der Moritzbastei angefangen.

So sind Sie in Leipzig gelandet?

Genau. Ich wollte nie nach Leipzig. Ich fand die Stadt damals unangenehm und überheblich. Ich habe gern in Merseburg und Halle gelebt.

In der Moritzbastei haben Sie mit den Cartoons angefangen? Das ist ja ein Ort, wo Comic- und Cartoon-Ausstellungen schon lange ein Zuhause haben.

Die Ausstellungen habe ich von Lutz Hesse, der im Ruhestand ist, übernommen. Ich mache sie seit diesem Jahr in Eigenregie. Bei der Werbegestaltung fing ich an, eigene Cartoons zu zeichnen. Ich betreute die Disco-Plakate für die Mittwochsveranstaltungen »All you can dance«, die damals eine Institution waren. Da wechselten immer der DJ und das Freigetränk, sonst waren sie eher ungestaltet. Also habe da etwas Lustiges draufgemalt. Das waren Tiere, die im weitesten Sinne umeinander werben. Jaulende Katzen zum Beispiel. In Discos geht es ja darum, jemanden kennenzulernen, also zeichnete ich Tiere im Balzmodus. Davon löste ich mich thematisch langsam. Die MB stellte die Cartoons ins Netz, was mir eine erste kleine Fanbase verschaffte. Und dann habe ich bis vor zwei Jahren jede Woche einen Cartoon veröffentlicht, auf meinen eigenen Seiten.

Sie haben sich vorher schon mit grafischem Erzählen beschäftigt?

Als Kind habe ich die Klassiker gelesen, »Mosaik«, wovon mein Papa eine große Sammlung hat, und nach der Wende »Micky Maus«. Ich schrieb immer schon Geschichten, schenkte meiner Schwester Geschichten zum Geburtstag oder einen Comic auf einem A4-Blatt. Als ich »Herr der Ringe« las, dachte ich mir eine Fantasy-Welt mit allen möglichen Hühnergottheiten aus. Irgendwann stellte ich fest, dass ich wieder erzählen möchte. Und dann besuchte ich 2017 ein Comic-Zeichner-Seminar in Erlangen mit Flix und Birgit Weyhe. Das war der Startpunkt für meine Comic-Zeichnerin-Karriere.

Dafür entwickelten Sie »Murr«. In dieser Zeit haben Sie sich auch selbstständig gemacht und einfach mal einen 100-Seiten-Comic fertig gezeichnet ohne Verlagszusage. Woher kam der Mut dazu?

Wenn man keine Ahnung hat, traut man sich viel zu. Hätte ich gewusst, was das im schlimmsten Fall für eine Tingeltangel-Tour werden kann und dass man unter Umständen gar keinen Verlag findet, hätte ich es vielleicht nicht gemacht. Ich hatte Bock auf einen Comic.

Sie sagten mal, Sie wollten nie Menschen zeichnen. Und dann starten Sie mit einem Comic voller Menschen?

Man muss sich selbst Herausforderungen stellen. Sonst beschränkt man sich zu sehr. Ich hatte durch die Cartoons einfach Übung und Tiere fielen mir deutlich leichter. Und ich hatte mir keinen coolen Stil für Menschen antrainiert. Davon hat mich »Murr« geheilt.

Wie würden Sie Ihre Tätigkeit heute beschreiben?

Beruflich bin ich dreibeinig aufgestellt. Ich mache Illustration, Grafikdesign und Comics. Aber am liebsten würde ich nur Comics zeichnen, wenn das so bezahlt würde, dass es möglich ist. Es ist im Zweifelsfall ein teures Hobby.

Gab es wenigstens Preisgeld?

Beim ICOM-Preis gab es etwas, beim Max-und-Moritz-Preis ist das leider nicht in allen Kategorien vorgesehen. Er ist sehr renommiert und eine Ehre. Aber ein Preisgeld wäre ein schönes i-Tüpfelchen gewesen. Das ist ja auch eine Art Projektförderung.

Also machen Sie vor allem Auftragsarbeiten?

Ja. Weil ich genug zu tun habe durch Anfragen, mache ich kaum Akquise mit eigenen Sachen. Ich kann auch nicht so viele Aufträge abarbeiten, wie ich möchte. Wir hatten das Thema vorhin schon angesprochen: Wie funktioniert man nach einer Krankheit? Ich kann einfach nicht mehr voll arbeiten, bin mit sechs Stunden am Tag ausgelastet.

Wenn Sie professionellen Zeichnerinnen und Zeichnern zuschauen, sieht das für viele Menschen wie leichte, hingeworfene Arbeit aus. Fühlen Sie sich genug wertgeschätzt?

Das ist ein grundsätzliches Problem von Illustratorinnen und Illustratoren: Die Leute verstehen nicht, wie viel Arbeit durch den Lernprozess hineinfließt. Wenn man das zwanzig Jahre macht, muss man einen bestimmten Preis aufrufen, weil in jeder Zeichnung zwanzig Jahre Vorarbeit stecken. Je schneller ich zeichne, desto besser bin ich. Denn ich muss alles schon mal gezeichnet haben, um es passend zu treffen. Wenn ich das erste Mal ein Fahrrad zeichne, dauert das, bis ich mich hineingearbeitet habe. Man kann diese Arbeitszeit so nicht rechnen.

Nun leben Sie doch schon lange in Leipzig, fühlt es sich noch okay an?

Ich werde die Stadt tatsächlich Ende des Jahres verlassen und aufs Land in einen kleinen Ort bei Naumburg gehen. Aber mit Bahnanbindung, denn zum Arbeiten bin ich noch hier. Es ist Zeit, mich aus der Großstadt zurückzuziehen. Leipzig ist eine Großstadt geworden. Als ich herkam, wohnte ich lange in Plagwitz. Da gab es nichts außer einer Kneipe, über der ich wohnte. Das hat sich geändert. Es ist zu voll, was meinem Gemüt entgegensteht. Ich bin früher jeden Morgen zum Schwimmen an den See gefahren. Das ging dann nicht mehr, weil überall Leute waren. Das ist nicht das, was ich brauche, um runterzukommen. Leipzig ist eine coole Stadt und ich werde weiterhin herfahren, um wegzugehen.

Dann befürworten Sie das 9-Euro-Ticket?

Ja klar, auch ein 69-Euro-Ticket wäre für mich noch okay. Einen ÖPNV für alle fände ich gut.

Dann könnten Sie Bahnfahrt-Comics zeichnen, als Pendant zu »Der kleine ICE« vielleicht die kleine Regionalbahn?

Aber nur, wenn es nicht zu autobiografisch wird.

Sie sitzen schon am nächsten Comic?

Ja, das wird ein Krimi, murrisch, also mit Zügen von »Murr«, tragisch, mit Tiefgang. Das Skript ist fertig, ich muss es nur noch zeichnen. Als Comic-Zeichnerin kommt mir Bücher-Schreiben wie das gelobte Land vor. Ich muss erst das Buch schreiben und dann noch malen. Man hat alles in einer Hand. Keine Kunstform ist so einsam und erfordert so viel Wissen und Können. Deswegen zweifeln auch viele Comic-Zeichner an dem, was sie tun. Weil sie so viel Zeit haben, darüber nachzudenken, wie schlecht man eigentlich ist.

Gibt es auch im Comic-Bereich den Trend, auf Frau-Sein und Osten reduziert zu werden?

Das ist mir persönlich noch nicht begegnet, aber natürlich passiert Comic vor allem in Westdeutschland. Meine Lesungen fanden ausschließlich dort statt, außer ich habe in Leipzig selbst etwas organisiert. Ich wurde mal angesprochen, eine sehr unweibliche Erzählweise zu haben. Das war als Lob gemeint, aber ob das jetzt negativ für meine Geschlechtsgenossinnen ist, weiß ich nicht. Es freut mich, irritiert mich aber auch. Und es irritiert mich, dass es mich freut. Ist eine weibliche Sicht ein Mangel? Ich finde es schön, wenn meine Charaktere in jeder Weise divers und unerwartet sind.

Der Wolf hilft dem kranken Kaninchen, weil er einem Kodex folgt. Haben Sie auch so einen Wolfskodex, eine Lebensregel?

Den Leuten nicht unnötig auf den Sack zu gehen – das wünsche ich mir im Gegenzug auch von meinen Mitmenschen. Und dass man es sich nicht einfach macht, nicht den Weg wählt, weil er einfach ist, sondern den richtigen.

Andere sein lassen  

… und alles geben.

 

Biografie

Josephine Mark wurde 1981 in Naumburg/Saale geboren. Von 2001 bis 2005 studierte sie Kultur- und Medienpädagogik in Merseburg, wo sie ihre Begeisterung für Grafikdesign entdeckte. Neben dem Studium gestaltete sie Plattencover, Plakate und Flyer, danach war sie lange für die Moritzbastei tätig. Seit 2018 ist sie freischaffende Grafikdesignerin und Illustratorin. Unter dem Label Puvo-Productions veröffentlicht sie seit 2004 Comics und Cartoons. 2021 erschien ihr Debüt »Murr« im Zwerchfell-Verlag, 2022 folgte »Trip mit Tropf« bei Kibitz.

> Franziska Ruflair: Adventure Huhn. Comic-Lesung und Vernissage, moderiert von Josephine Mark, 28.9., 20 Uhr, Moritzbastei


Titelfoto: Christiane Gundlach.


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